Memoiren von Kardinal Meisner: Mit Kanzlern und der Kanzlerin hatte er es nicht so (2024)

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Von: Joachim Frank

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Memoiren von Kardinal Meisner: Mit Kanzlern und der Kanzlerin hatte er es nicht so (1)

Gottvertrauen und Ignoranz, Demut und Arroganz: Das steht in den postum veröffentlichten Erinnerungen des Joachim Kardinal Meisner.

  • Posthum erscheinen die Memoiren von Kardinal Joachim Meisner
  • Meisners Buch zeigt, was ihm am Herzen liegt
  • Mit Kanzlern und Kanzlerin wurde der Kardinal nicht warm

Stars und Sternchen bringen mitunter ihre Memoiren heraus, noch bevor sie 30 sind. Kardinal Joachim Meisner hat zu Lebzeiten ganz darauf verzichtet. Erst jetzt, drei Jahre nach dem Tod des früheren Kölner Erzbischofs, erscheinen seine Erinnerungen. Er hatte sie in seinen letzten Lebensmonaten der Journalistin Gudrun Schmidt – wie es im Vorwort von Meisners Testamentsvollstrecker heißt – „in ihre formgebende Feder erzählt“.

Diese Art der Co-Autorenschaft darf als gelungen bezeichnet werden. Alle, die Meisner kannten, werden ihn bei der Lektüre reden hören. Sein assoziativer Erzählfluss mit Vor- und Rücksprüngen, aber auch charakteristische Formulierungen („muss mal so sagen“) sind in der Diktion des Buches getreulich nachempfunden. Viele Episoden aus seinem Leben hatte Meisner auch bei früheren Gelegenheiten schon so zum Besten gegeben. Insofern sind die „Aspekte“ des Buches, die „den Menschen, Priester, Bischof und Kardinal Joachim Meisner von einer ganz neuen Seite her erschließen“ sollen, vor allem eine Frage der Leser-Perspektive.

Kardinal Joachim Meisner: Erinnerungen an Stationen in Berlin und Köln

Eines ist dabei gewiss: Dieses Buch kommt von Herzen. Es will kein analytischer Beitrag zur Historiographie des 20. Jahrhunderts sein. Es geht Meisner in aller – positiv verstandenen – Einfalt darum, was und wer ihm am Herzen lag: seine Familie, allen voran seine Mutter, seine kirchlichen Gönner und Förderer, seine Päpste natürlich, Johannes Paul II. und Benedikt XVI. In ihrer Darstellung verbindet Meisner intuitiv den ehrfürchtigen Aufblick zum Amt mit deutlichen Signalen der Nähe zur Person. Seine umstrittene Versetzung aus dem geteilten Berlin nach Köln 1988/89 etwa besprach Meisner mit Johannes Paul II. im Liegestuhl nach einem päpstlichen Bad im Pool der Sommerresidenz Castel Gandolfo. Und in der Schilderung des Weltjugendtags 2005 als „dem“ Höhepunkt seiner Amtszeit als Erzbischof in Köln lässt Meisner die fünf Tage im August kontinuierlich an der Seite Papst Benedikts XVI. Revue passieren.

Sympathisch, dass er darüber die „kleinen Leute“ aus seiner Umgebung nicht vergisst: die Lehrerin, die für seinen Haushalt zuständigen Ordensfrauen, das „Faktotum“ seiner Berliner Jahre – sie nehmen oft breiteren Raum ein als manche Großen und Großkopferten. Insbesondere den hochrangigen Politikern, mit denen Meisner es seit 1980 als Bischof in der Frontstadt des Kalten Krieges zu tun hatte, lässt er in seiner Charakterisierung weniger Wertschätzung angedeihen. Er reduziert sie auf ihre Laster – und auf ihre Nähe (oder meistens schlimmer: Ferne) zur katholischen Kirche.

Kardinal Joachim Meisner: Distanz zu den Kanzlern und zur Kanzlerin

Helmut Schmidt erscheint als kalter Kettenraucher „ohne jegliche religiöse Sensibilität“. Richard von Weizsäcker ist der eitle, überhebliche Protestant, Helmut Kohl ein „sehr von sich überzeugter“ und „dialogunfähiger“ Nimmersatt mit Heißhunger auf Torte und Pralinen. Angela Merkel schließlich ist die „geschiedene Frau, die mit einem geschiedenen Mann ohne Trauschein zusammenlebt, und dies ausgerechnet in einer Partei, der CDU, die als Familienpartei gilt“. Was ihm die heutige Kanzlerin bei einem Besuch in Köln zu erlittenem persönlichem „Schiffbruch“ sagte, führte Meisner zur Erkenntnis, „dass sie und mich wohl Lichtjahre trennten. Das Thema war erledigt“.

Als ehemaligem Bischof von Berlin ist ihm der Fall der Mauer 1989 nicht eine Zeile wert, sehr wohl dagegen die Heiligsprechung der seligen Agnes von Prag drei Tage danach. „Für mich galt es als Ehrensache, dass ich an diesem 12. November dabei sein musste.“ Konsequent führt Meisner die „Samtene Revolution“ und den Fall des Kommunismus in der Tschechoslowakei auf Agnes‘ wundersames Wirken zurück. Weltgeschichte im Heiligenbildchenformat. Von Martin Luther und der Reformation bleiben ein kaum mehr sichtbarer Tintenfleck in der Wartburg – und evangelische Pfarrer als nette Hausmeister, die ihre kaum genutzten Kirchen den Katholiken in der DDR für Gottesdienste überließen.

Für Kardinal Joachim Meisner war alles Gottes Fügung

Alles im Leben, davon war Joachim Meisner zutiefst überzeugt, ist Gottes Fügung. Für Meisner war sein Weg ins Priester- und Bischofsamt der beste Beleg. Gleich mehrmals spricht er an entscheidenden Stellen davon, „dass Gott schon irgendwie und irgendwann für mich einen Weg finden würde“. Auch das kommt von Herzen, und als Ausdruck tiefen Gottvertrauens rührt es auch an selbiges, obgleich Meisner sein innerstes Herzenskämmerlein mit dem Grund seiner Berufung darin sorgsam verschlossen hält.

Für Zweifler und Suchende sei er der Falsche, hat er einmal in luzider Selbsterkenntnis gesagt. Das erklärt auch seine durch die Erfahrungen in der DDR und im dortigen Diaspora-Katholizismus gestählte Grundhaltung, die zum Titel seiner Memoiren avanciert ist: „Wer sich anpasst, kann gleich einpacken.“

Unter der Wucht der (vermeintlich unumstößlichen) Wahrheit gerät freilich die auch für Christen zentrale Kategorie der Freiheit faktisch unter die Räder. Der Ex-DDR-Bürger Meisner hielt in seinem Leben nach 1989 – konkret: in Köln – den gleichen inneren Abstand zur pluralen Demokratie wie zuvor zur sozialistischen Diktatur. Weshalb er ironiefrei sagen konnte, im Westen sei nicht alles besser. Die seltsame Äquidistanz gipfelt in einem „Systemvergleich“ anlässlich einer Flugreise nach Fernost. Meisner lässt die Überlegenheit des Westens auf Charme und Eleganz der Stewardessen an Bord einer blitzsauberen „Japan Airlines“-Maschine zusammenschnurren – im Unterschied zu einem kalten, stinkenden, dreckigen Sowjet-Jet.

Kardinal Joachim Meisner: Reibereien mit „liberalen Professoren“

Auf diesem Niveau gerät das Anekdotisch-Leichte unter der Hand zur Schnoddrigkeit und zur Abschätzigkeit gegenüber den Grundwerten der freiheitlichen Gesellschaft. Vollends beklemmend nehmen sich hier Meisners Rückblicke auf kirchenpolitische Auseinandersetzungen aus. Ob in der DDR oder nach der Wende, immer trat er selbst als der unerschrockene Bekenner in Feindesland auf. Seine Gegner hingegen waren allesamt Feiglinge, Opportunisten und Anpasser – ob aus Eigennutz, Liebedienerei oder, wie im Fall des Konflikts um die Schwangerenberatung Ende der 90er Jahre, aus Furcht vor den Medien. „Wenn Johannes der Täufer so ängstlich gewesen wäre, hätte er nie den Kopf verloren.“ Das sind Stellen in Meisners Buch, die einen dann doch den noch vorhandenen Kopf schütteln lassen.

Genau wie seine Einlassungen zur Theologie. Immer mehr „liberale Professoren“ seien die Besorgnis erregende Folge unzureichender Vetorechte des Bischofs und der Zulassung von Nicht-Klerikern zur wissenschaftlichen Laufbahn. „Ursprünglich gab es solche Schwierigkeiten nicht. In Theologie konnte nur jemand promovieren, der die Subdiakonatsweihe hatte. Mit ihr waren Zölibat und Brevierpflicht verbunden. Hier schon ergab sich automatisch eine Auswahl.“ Doktorinnen der Theologie? Für Meisner Teil einer Fehlentwicklung.

Kardinal Joachim Meisner: Der Heilige Geist lässt sich nicht einsperren

Zu ungetrübter Würdigung empfehlen sich hingegen die ausführlichen Passagen über heimliche Priesterweihen in den Ostblockstaaten. Mit gleichem Bekennermut ignorierte Meisner Verbote und drohende Sanktionen. Auch später half er den 60 von ihm geweihten Geistlichen, wo er konnte. Seine Quintessenz: „Daran sieht man wieder einmal deutlich, dass sich der Heilige Geist nicht einsperren lässt. Ganz im Gegenteil. Er baut sich sogar seine Strukturen auf.“

In diesem Glaubenssatz liegt ein tiefer Sinn. Seine Sprengkraft für die Zukunft der Kirche muss dem am 5. Juli 2017 verstorbenen Kardinal und Erzbischof verborgen geblieben sein.

Joachim Frank

Der verstorbene Kardinal Joachim Meisner ließ kaum jemanden kalt. Für viele war der gestrenge Kirchenmann nur der „Hassprediger“ vom Rhein. Aber er hatte auch andere Seiten.

Kardinal Meisner hat einmal mehr bewiesen, dass er für Ausgrenzung statt Toleranz steht. Bei der Wahl seines Nachfolgers kann der Papst zeigen, wie offen seine Kirche sein soll.

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